Führung durch Stephan Kemperdick
22. Oktober 2014
Der 1432 vollendete Genter Altar ist vermutlich das bedeutendste Werk der Malerei, das die frühe Neuzeit im Europa nördlich der Alpen hervorgebracht hat. Seine sich wandelnde Wertschätzung hat über Jahrhunderte hinweg ihren Niederschlag in literarischen Äußerungen und bildlichen Reflexionen gefunden. Zugleich ist die Geschichte des Stücks und seiner Teile wohl eine der bewegtesten, die sich für ein Kunstwerk nachweisen lässt.
Im Jahre 1821 erwarb Preußen mit der Sammlung Solly sechs doppelseitig bemalte Flügel des berühmten Retabels. Ab 1830 waren sie im königlichen Museum ausgestellt, ergänzt um zwei moderne sowie zwei von Michiel Coxcie 1558 geschaffene Kopien der in Berlin fehlenden Mitteltafeln. Beim Umzug der Galerie in das neu errichtete Kaiser-Friedrich-Museum im Jahr 1904 wurden die Originale wie die Kopien in einem eigenen Raum gezeigt, in dem somit beinahe der gesamte Genter Altar repräsentiert war. Aufgrund einer Klausel des Versailler Vertrags mussten die Eyck’schen Tafeln jedoch 1920 als Kompensation für die immensen Kriegszerstörungen, die der völkerrechtswidrige deutsche Einfall verursacht hatte, an Belgien abgegeben werden.
In der Wandelhalle der Gemäldegalerie ist das Retabel nun mit Hilfe der in Berlin verbliebenen Kopien sowie originalgroßen Fotoabzügen der einstmals hier aufbewahrten Flügel rekonstruiert. Diese bewusst heterogen gestaltete Installation, die von weiteren Bildzeugnissen ergänzt wird, soll die vielfältigen Facetten der Geschichte und der Wahrnehmung des Werkes aufscheinen lassen.
Bei dem gemeinsamen Ausstellungsbesuch mit Dr. Stephan Kemperdick, Kustos für altniederländische und altdeutsche Malerei der Gemäldegalerie soll diesen Ereignissen, ihren Grundlagen und Auswirkungen in größerem Detail nachgegangen werden. Die Grundlage dazu bilden die in den vergangenen eineinhalb Jahren durchgeführten Recherchen zur Geschichte des Retabels seit dessen Vollendung.