Andreas Schlüter und das barocke Europa

Hochaltar der Berhardinerkirche in Czerniaków, Detail
Hochaltar der Berhardinerkirche in Czerniaków, Detail
Kanzel der St. Marienkirche in Berlin, Detail
Kanzel der St. Marienkirche in Berlin, Detail
Hochaltar der Berhardinerkirche in Czerniaków, Detail
Hochaltar der Berhardinerkirche in Czerniaków, Detail

Bericht über das Kolloquium „Andreas Schlüter und das barocke Europa“ am 6. und 7. Juli 2014 in Berlin von Hartmut Krohm

Am 6. und 7. Juli 2014 veranstalteten auf Initiative der Juniorprofessorin Aleksandra Lipińska das Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik an der Technischen Universität Berlin und die Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin ein Kolloquium mit dem Thema „Andreas Schlüter und das barocke Europa“. Diese Tagung, besucht von 60 bis 70 Teilnehmern, fand in Ergänzung zur gleichzeitigen Ausstellung im Bode-Museum „SchlossBauMeister – Andreas Schlüter und das barocke Berlin“ statt. Diese war vor allem auf die Tätigkeit Schlüters für den Ausbau der neuen königlichen Residenz Berlin konzentriert, auf dem Kolloquium sollte jedoch vor allem der künstlerische Werdegang des Bildhauers und späteren Architekten im Königreich Polen vor seiner Berufung 1694 durch  Markgraf und Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, ab 1701 zudem König Friedrich I. in Preußen, zur Sprache kommen, darüber hinaus die sich im mittleren und nördlichen Europa gegen 1700 neu herausbildende  Stilsituation mit ihren autochthonen Zügen. Danzig, Warschau, Stockholm, Wien, Prag und Berlin waren als Eckpunkte gesetzt. Durch den internationalen Dialog sollte die Forschung zur Entwicklung des Barock in den sich nach dem Dreißigjährigen Krieg und der Abwendung der osmanischen Gefahr etablierenden Kunstregionen jenseits von Italien und Frankreich neu befruchtet werden. Das Kolloquium gliederte sich in zwei Teile, ein Besichtigungsprogramm und eine Vortragsfolge.

 

 Der erste Teil des Kolloquiums, die Veranstaltungen am 6. Juli, diente der Erläuterung und Diskussion der Konzeption des Ausstellungsprojekts  sowie dem kommentierten Besuch einzelner Denkmäler Schlüters an verschiedenen Orten in Berlin („Masken“ im Hof des Zeughauses, Prunksarkophage im Dom, Kanzel in der St. Marienkirche, Gruftportal Männlich in der St. Nikolaikirche). Erläuterungen zum Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten erfolgten vor der galvanoplastischen Nachbildung in der Großen Kuppelhalle des Bode-Museums. Informationen zur Ausstellungskonzeption gab der verantwortliche Kurator Hans-Ulrich Kessler, die Sachbearbeiter des Katalogs hatten die Einführung zu den Monumenten außerhalb des Museums übernommen. Auf der Grundlage der von ihnen vorgetragenen Erkenntnisse ergaben sich zum Teil sehr intensive Diskussionen. Bodo Buczynski, Chefrestaurator der Berliner Skulpturensammlung, ergänzte die Ausführungen durch Beobachtungen zur Technik der Steinbearbeitung. 

Reiterstandbild des Großen Kurfürsten im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg
Reiterstandbild des Großen Kurfürsten im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg

Wegen des Umfangs der Ausstellung konnte das Konzept an Ort und Stelle nur in wenigen Punkten erörtert werden. Allerdings wurden Einzelprobleme während der Besichtigungen wieder aufgegriffen und vertieft. So schloss sich eine besonders ergiebige Diskussion an die eingehenden Erläuterungen Fritz-Eugen Kellers zu den Fensterschlusssteinen der „Masken“, den Köpfen toter Krieger, im Innenhof des Zeughauses an. Keller wies auf die hohe künstlerische Qualität in der Ausführung der Physiognomien im südlichen Teil des Hofes hin und machte zugleich auf die Unterschiede zu denen des Nordteils aufmerksam, die nach einer Bauunterbrechung durch Gehilfen nach Modellen Schlüters oder als Wiederholungen von Prototypen der ersten Phase entstanden. Voraussetzung sei eine sehr gründliche Kenntnis antiker Bildwerke wie der Laokoon-Gruppe gewesen. Laut Keller entspräche die Darstellung von Emotionen, hier vor allem des Schmerzes, jenen Anforderungen, die der französische Hofmaler Charles Lebrun in seiner berühmten Vorlesung von 1668 vor der Pariser Académie Royale de Peinture et de Sculpture, in seiner „Conférence sur l’expression générale et particulière“, zur künstlerischen Maxime erhoben hatte. Dazu wurde in der Diskussion angemerkt, dass die „Masken“ Schlüters selbstverständlich die Illustrationen in der posthumen Veröffentlichung des Vortrags von Lebrun im Jahr 1698, die also gleichzeitig mit den ersten Arbeiten am Zeughaus erschien, in ihrem Ausdrucksvermögen weit hinter sich ließen. Es stellte sich die Frage, ob Schlüter unmittelbar von der Theorie des französischen Malers berührt gewesen sei, dessen Kodifizierung ja auf eine systematisierte akademische Kunstvermittlung hinzielte. Schlüter, dessen „Masken“ in der Südhälfte als eigenhändig zu betrachten sind (nach Keller habe der Bildhauer hier selbst die letzte Hand angelegt), demonstrierte in ihnen ein überragendes Können auf breitester Basis von Wissen und Studium, die er sich bereits vor der Ankunft in Berlin erworben haben muss. Nicht nur am Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten, sonder auch in den „Masken“ wird sichtbar, weswegen Friedrich I. Schlüter mit außerordentlichem Gespür aus Polen angeworben, ja sogar angesichts der durch König Jan III. Sobieski angebotenen Verpflichtung an den Hof abgeworben hatte. Zugleich verdeutlichen die Kopfdarstellungen der gefallenen Krieger, in welchem Maß auch Schlüter, zu dessen Aufgaben der Unterricht an der seit 1694 geplanten, 1696 verwirklichten Akademie der Künste in Berlin gehörte, in der Lage war, selbst ein anspruchsvolles akademisches „Regelwerk“ zu entwickeln.

 

Der zweite Teil des Kolloquiums mit seinen Vorträgen, am 7. Juli in der Technischen Universität Berlin, begann mit einem Überblick vor allem über den aktuellen Stand der Schlüter-Forschung durch Guido Hinterkeuser, freiberuflich tätiger Kunsthistoriker in Berlin, dem in jüngerer Zeit wesentliche Beiträge zur Erforschung des Schlosses zu verdanken sind. Dabei umriss er den Forschungsstand zu einzelnen  Denkmälern, aber auch zur künstlerischen Herkunft, und benannte noch zu leistende Untersuchungen, etwa zu den Veränderungen in den Innenräumen des Schlosses unter Ernst-Eberhard von Ihne und Albert Geyer. Eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Forschungsgeschichte seit Cornelius Gurlitt und Robert Dohme blieb dabei leider fast ganz ausgespart. Dass es in diesem Fall um Fragen von besonderer Relevanz hätte gehen können, wurde in der Diskussion sogleich sichtbar, die sich an einem Zitat aus dem populärwissenschaftlichen Buch über Schlüter von Heinz Ladendorf aus dem Jahr 1937 entzündete („Dies ist das Lebensdrama des größten deutschen Künstlers der Barockzeit: Aus dem ungewissen Dämmern des Nordostens kommt er in die wache, taghelle kleine Hauptstadt des werdenden Staates Brandenburg-Preußen, […], um endlich wiederum in die Ferne des winterlichen Nordens zu entschwinden.“) . Dem entgegengehalten wurde die unbestreitbar einzigartige (und „ideologieneutrale“) Leistung Ladendorfs in seiner kurz vorausgegangenen Dissertation auf umfassender quellenkritischer Grundlage. Die hier sichtbare Diskrepanz zwischen seriöser, angeblich völlig  ideologiefreier Forschung und populärwissenschaftlichen Schriften in deren Gefolge, in denen brisantes Gedankengut Verbreitung fand, ist innerhalb der deutschsprachigen Kunstgeschichtsschreibung ja nicht nur für diesen Fall bezeichnend. Aus nationalistischer Sicht resultierenden Vor- und Fehlurteilen, die sich im Denken festgesetzt haben und ihre Wirkung durchaus weiter zu entfalten vermögen, muss daher mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung entgegnet werden. In Bezug auf Schlüter verstellte der falsche Blick von Deutschland aus bis auf Ausnahmen die Wahrnehmung der kulturellen Blüte Polens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, vor allem unter König Jan III. Sobieski, damit auch der Vielfalt von Querverbindungen und des künstlerischen Austauschs  im nördlichen und mittleren Europa. Zur geplanten Veröffentlichung der Kolloquiumsreferate wird der Berichterstatter die notwendige kritische Übersicht zur Schlüter-Rezeption nachträglich beisteuern.

 

Agnieszka Pufelska, wissenschaftliche Mitarbeiterin auf einer DFG-eigenen Stelle am Historischen Institut der Universität Potsdam, umriss in ihrem Referat die politische wie auch kulturpolitische Situation im Königreich Polen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das über einen längeren Zeitraum gemeinsam mit dem Großfürstentum Litauen einen Unionsstaat bildete. Sie betonte vor allem die mächtige Position  des Adels, der Magnaten, denen gegenüber die königliche Souveränität eingeschränkt war. Als „Kleinkönige“  trugen einzelne Fürsten als Mäzene entscheidend zur künstlerischen Blüte in Polen bei. Im Kunstbetrieb bildeten sich Monopole heraus. Besondere Bedeutung besaß für den polnischen Adel, aber auch für König Jan III. Sobieski, die Suche nach einem „polnischen Stil“, nicht nur in der Literatur, sondern ebenfalls in der Architektur und den Bildenden Künsten. Dies geschah auf der ideologischen Grundlage des Sarmatismus, der Berufung der Aristokratie in Polen auf den Mythos einer genealogischen Herkunft vom antiken Barbarenvolk der Sarmaten, der einer Identitätsfindung und einer Abgrenzung nach außen gegenüber den Nachbarvölkern diente.

 

Schlüters Herkunftsstadt Danzig, dort vielleicht geboren, auf jeden Fall aber aufgewachsen, stand unter polnischer Oberhoheit, bewahrte allerdings ein Höchstmaß ihrer bis ins Mittelalter zurückreichenden hansestädtischen Eigenständigkeit. Da dies nicht ohne Konflikte vonstattenging, stand die Bürgerschaft oft in Distanz zur Krone. Jan III. Sobieski besaß ein besonders enges Verhältnis zu Danzig, das er öfters aufsuchte und wo er zeitweilig auch lebte. Er könnte bereits dort Andreas Schlüter kennengelernt haben, den er kurz vor seiner Übersiedelung nach Berlin mit der Ausführung von Grabmalsskulptur in Żolkiew (heute ukrainisch Schowkwa) beauftragt hatte. Der Kurfürst von Brandenburg und spätere König war wegen des Streits um die Zugehörigkeit  des Herzogtums Preußen gegenüber Jan III. Sobieski (wie auch umgekehrt der Fall) nicht unbedingt freundlich gesinnt, dennoch dürfte er mit größtem Interesse registriert haben, was sich bei seinem Nachbarn an Höhepunkten auf kulturellem Gebiet ereignete.

 

 Im ersten Vortrag vonseiten der polnischen Schlüter-Forschung ging Jacek Kriegseisen (Kunsthistorisches Institut der Universität Gdańsk) auf die Denkmäler ein, die dem Bildhauer in Danzig, der Stadt, in der seine künstlerische Karriere begann, zugewiesen worden sind. Laut Kriegseisen verbieten sich jedoch Zuschreibungen allein schon aufgrund der Bestandsanalysen. Sämtliche in ihrem Dekor mit Schlüter in Verbindung gebrachte Fassaden von Patrizierhäusern stehen heute in einem rekonstruierten Zustand vor Augen. Es ist anzunehmen, dass auch Fotos aus der Vorkriegszeit nicht unbedingt die authentische Situation des späten 17. Jahrhunderts wiedergeben, was sich aber wegen fehlender älterer Renovierungsunterlagen nicht mehr verifizieren lässt. Erstmals wurde eine genaue Dokumentation der Ergänzungen an den Schmuckmotiven der Fassade der von Jan III. Sobieski in Auftrag gegebenen und vermutlich vom Architekten Tylman van Gameren entworfenen Königlichen Kapelle an der Stadtkirche St. Marien vorgelegt. Auch an dieser ist nach früheren Wiederherstellungen kaum noch originale Substanz vorhanden, die Aufschluss über eine Beteiligung Schlüters geben könnte. Damit wäre in Danzig selbst nicht ein einziges Zeugnis aus der Frühzeit Schlüters nachweisbar. Nach den Diskussionsbeiträgen von Fritz-Eugen Keller und Bernd Wolfgang Lindemann scheiden die Danziger Beispiele allerdings auch grundsätzlich aus den Erwägungen zum frühen Schaffen des Künstlers aus. Selbst in der vielleicht unbefriedigenden Reproduktion der hier einst vorhandenen Motive findet sich nirgends ein Anhaltspunkt, der zwingend auf Schlüter verweist. Der Fassadendekor, wie er sich hier vorfindet, fiel im Übrigen in die Kompetenz darauf spezialisierter Steinmetzen, seine Ausführung war nicht die Aufgabe an hoher Kunst orientierter Bildhauer. 

Maske im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums
Maske im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums

Kriegseisen schloss seinen Ausführungen wichtige Überlegungen zum bisher angenommenen Geburtsjahr Schlüters, 1659 oder auch – falls in Hamburg geboren – 1662/63, an. Dabei stützte er sich auf das übliche Reglement in der handwerklich-künstlerischen Ausbildung, wie es auch in der Danziger Zunftordnung festgehalten war. Kriegseisen sah hier eine Diskrepanz zwischen der archivalischen Überlieferung, der zu vermutenden Phase von der Lehr- und Gesellenzeit bis hin zur Meisterwürde und der allerdings ebenfalls zeitlich nicht genau bestimmbaren selbständigen Tätigkeit Schlüters in polnischen Diensten. Er plädierte daher dafür, das Jahr der Geburt zurückzuverlegen. 

Im Beitrag von Michał Wardzyński (Kunsthistorisches Institut der Universität Warszawa) wurde zunächst die von der Forschung vermutete Mitarbeit Schlüters an der skulpturalen Gestaltung der Sommerresidenz Jans III. Sobieski in Wilanów in Frage gestellt. In Briefen des für dieses Projekt verantwortlichen, aus Italien stammenden Architekten Agostino Locci, vom 17. und 31. Oktober 1681, ist die Rede von einem „statuarius“, dessen Dienste neu in Anspruch genommen werden sollten und der ein Probestück, einen Putto in der „Manier der Fiammingo-Kinder“, abgeliefert hatte. Damit gemeint war ein Putto im Stil des aus den südlichen Niederlanden gebürtigen, im barocken Rom tätigen François Duquesnoy. Den von Locci erwähnten Bildhauer glaubte man bisher mit Schlüter identifizieren zu können. Die betreffende Korrespondenz war jedoch nur unvollständig ausgewertet worden: Aus nachfolgenden Schreiben geht eindeutig hervor, dass mit jenem „statuarius“ der Bildhauer Stephan Schwaner (Stefan Szwaner), wie Schlüter aus Danzig, gemeint war. Eine Tätigkeit im Dienst des Königs in Wilanów lässt sich im Hinblick auf Schlüter folglich nicht belegen.


An dieser Stelle bleibt als Fazit, dass die mit Schlüter nicht ohne Grund in Verbindung gebrachten Elemente der Ausstattung am Schloss Wilanów wohl von anderer Hand gefertigt sein müssen. Nicht diskutiert wurden die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis: In Wilanów wären zumindest Voraussetzungen der Kunst Schlüters, von hohem künstlerischem Niveau, anzutreffen. Mit Schwaner tritt ein zweiter bedeutender Bildhauer aus Danzig in Erscheinung, der über Duquesnoy mit dem römischen Barock in Berührung gelangte. Was Schlüter betrifft, so war er für Jan III. Sobieski nachweisbar allein in Żolkiew tätig, wo er 1692-1694 Grabmonumente für Mitglieder der königlichen Familie schuf. Künstlerisch primäre Bedeutung in Polen gewann er offenbar zunächst in der Zusammenarbeit mit dem Architekten Tylman van Gameren, worauf der Beitrag von Jakub Sito einging.

 

Im zweiten Teil seines Vortrags erörterte Wardzyński künstlerisch herausragende Kruzifixdarstellungen in Polen, die zum Teil erst in jüngerer Zeit Schlüter zugeschrieben worden sind. Er betonte dabei den niederländischen Anteil an dem zugrundeliegenden Konzept und verwies dabei auf einen Kruzifixus von Jean Delcour in Lüttich. In der Diskussion wurde die Einflussnahme einer damals wohl kaum breiter bekannten Arbeit wie der Delcours in Frage gestellt und eine plausiblere Vermittlungsebene angesprochen, die von Kleinkunstwerken in Bronze nach Modellen von Gianlorenzo Bernini und Alessandro Algardi.

 

Der Vortrag von Jakub Sito (Kunsthistorisches Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warszawa) war im Hinblick auf den künstlerischen Werdegang Andreas Schlüters besonders aufschlussreich. Wie bereits erwähnt, trat dieser in Polen offensichtlich zunächst nicht, wie ausgeführt, im Umkreis des Königs in Erscheinung, sondern vielmehr im Gefolge Tylman van Gamerens, eines der herausragenden Architekten der Zeit gegen 1700, im Zusammenhang mit dem Warschauer Stadtpalast für den Fürsten Jan Dobrogost Krasiński, der in den Jahren 1689-1695 errichtet worden war. Der in Utrecht geborene, von Palladio geprägte van Gameren, Schüler Jacob van Campens, Architekt des Amsterdamer Stadhuis, vervollkommnete seine Kenntnisse unter anderem in Venedig. In Italien warb ihn Fürst Lubomirski für Aufträge in Polen an. Van Gameren arbeitete sowohl für den polnischen Königshof als auch für die Magnaten, wobei das Palais Krasiński einen Höhepunkt seines Schaffens darstellt. 

 

In den Quellen zum Palais Krasiński ist Schlüter namentlich erwähnt, von seiner Hand stammen die Reliefs der beiden Giebel, deren unmittelbare Voraussetzungen am Stadshuis in Amsterdam zu finden sein dürften. Eine der Entwurfszeichnungen van Gamerens deutet darauf hin, dass von diesem unmittelbare Vorlagen für eine Umsetzung durch Schlüter geliefert worden sind. Eine ähnliche Situation bestand vermutlich auch in Czerniaków bei Warschau, wo Tylman van Gameren in den Jahren 1687-1692 die Bernhardinerkirche errichtete. Der Architekt lieferte in diesem Fall ebenfalls Entwürfe zum Hochaltaraufsatz einschließlich des Figurenschmucks, der in der Ausführung aufgrund seines Stils und seiner außerordentlich hohen künstlerischen Qualität Schlüter zuzuschreiben ist, dessen Name allerdings in den Archivalien hier nicht erscheint.


Villa Kemecke, Entwurf
Villa Kemecke, Entwurf

 

 An diesen Vortrag schloss sich eine besonders fruchtbare, wenn auch in ihren Ergebnissen offene Diskussion an. Aufgrund der Entwurfszeichnungen Tylman van Gamerens stellte sich in beiden Fällen die Frage, inwieweit dieser eine stilprägende Bedeutung, auch in der Vermittlung italienischer Formensprache, für Schlüter besaß. Fritz-Eugen Keller hob ausführlich  die künstlerische Bedeutung der beiden Giebeldarstellungen mit ihren vielfältigen Zitaten antiker Skulptur hervor. Auch analysierte er die unterschiedliche Bildstruktur, wobei er zu der Schlussfolgerung gelangte, dass sich Schlüter im Giebel der Vorderseite noch an die Vorgaben van Gamerens gebunden fühlte, an dem der Rückseite jedoch weitgehend eigene Vorstellungen entwickelte. Diese Interpretation wurde in der weiteren Diskussion allerdings grundsätzlich in Zweifel gezogen – wegen der wohl anzunehmenden Hauptverantwortlichkeit van Gamerens für das Gesamtprojekt. in Absprache sämtlicher Details mit dem Auftraggeber, aber auch wegen der Wahrscheinlichkeit, dass sich die Unterschiede durch einen bewusst angestrebten Wechsel in Komposition und Reliefgestalt erklären. Nicht zur Sprache kam die hier wie zuvor am Stadhuis in Amsterdam anspruchsvolle  Aufgabe einer skulpturalen  Ausschmückung eines großen Dreiecksgiebels, die bei dem in architektonischer Hinsicht vorbildlichen Andrea Palladio so gut wie keine Rolle gespielt hatte. Mit dem Stadhuis Jacob van Campens in Amsterdam gewann das Relief im zentralen Fassadengiebel mit seinen Bezügen zur Antike eine völlig neuartige künstlerische Bedeutung.

 

Die Frage nach dem Einfluss van Gamerens auf Schlüter, der in seiner künstlerischen Eigenbedeutung wohl tatsächlich erst gegen 1690 greifbar wird, wäre weiter zu untersuchen. Wie die beiden Giebel des Palais Krasiński zeigen, verfügte der niederländische Architekt über einen großen Kenntnisstand, was die Überlieferung antiker Skulptur betraf – über ein Repertoire, das er in diesem Fall über den Entwurfsprozess an Schlüter weiterzuvermitteln vermochte. Schlüter wurde also in Polen selbst mit relevanten Quellen konfrontiert. Dennoch ist anzunehmen, dass er durch van Gameren oder seine fürstlichen Auftraggeber in Polen zwecks Vervollkommnung seines Könnens nach Italien, vielleicht auch Frankreich, um oder kurz nach der Mitte der 1680er Jahre geschickt worden war. Die Bedeutung, die Schlüter im Hinblick auf die Akademiegründung in Berlin aus der Sicht König Friedrichs I. besaß, legt eine bereits bestehende Kenntnis des Akademiebetriebs an zentralen Orten wie Rom, Paris, vielleicht auch Florenz und Venedig geradezu nahe, während eine breite theoretische wie auch praktische Grundlage bereits über Tylman van Gameren erworben worden sein könnte.

 

Leider nur am Rande fiel in der Diskussion der Begriff des „Bildhauer-Architekten“, viel beschworen aber im Hinblick auf Schlüter von den Gegnern einer Rekonstruktion der Berliner Schlossfassaden. Die Entwürfe Tylman van Gamerens zeigen bereits, so sei hier hinzugefügt, in der Verbindung von Architekturelement und Dekor eine grundsätzlich vergleichbare Haltung, der weiter nachzugehen wäre. Möglicherweise hat hier eine spezifisch niederländische Traditionsbildung ihren Nachklang, die sich bis zur Fassade der Antwerpener Jesuitenkirche zurückverfolgen lässt, bei deren Entwurf Peter Paul Rubens eine Hauptrolle spielte.

 

Herbert Karner (Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien) hatte einen Beitrag zur Architektur in den habsburgischen Territorien des Heiligen Römischen Reichs um 1700 angekündigt, musste aber wegen einer Erkrankung der Tagung fernbleiben. Mit seinem Vortrag sollte, ähnlich wie dies im Hinblick auf Polen geschah, die Weiterentwicklung des Barock nach den Anstößen aus Italien, Frankreich und den Niederlanden in weiteren mitteleuropäischen Zentren näher in Augenschein genommen werden. Erst unter Berücksichtigung der Vielfalt eigenständiger Projekte in Zentraleuropa erlangt das einzigartige Baugeschehen in Berlin eine ihm tatsächlich gerecht werdende historische Einordnung. Das verdeutlichte vor allem auch der abschließende Vortrag von Kristoffer Neville (University of California Riverside), der nachzuweisen vermochte, dass zwischen Stockholm, Berlin und Wien ein sehr intensiver Austausch bestand, Ideen und Pläne mithilfe von Zeichnungen und Kupferstichen zwecks Information von Zentrum zu Zentrum gezielt weitergereicht wurden. Auf diese Weise entstand in Mittel- und Nordeuropa eine dichte Vernetzung zwischen Architekten und Baustellen.

 

Das Kolloquium lieferte wertvolle Beiträge zur Herkunft Schlüters  als Bildhauer, der im Rahmen hochrangiger Aufträge in Polen, zum Teil in Zusammenarbeit mit einem der bedeutendsten Architekten dieser Zeit, zu außerordentlicher künstlerischer Größe heranwuchs, die seine Berufung durch König Friedrich I. zwecks Verwirklichung höchst ambitionierter Pläne erklärt. Deutlich wurde aber auch, dass – um die Bauaktivitäten des preußischen Herrschers eingehender zu begreifen – der Focus gleichzeitig auf das reiche Spektrum der Barockarchitektur in den Niederlanden, in Skandinavien und eben in ganz Mitteleuropa gerichtet sein muss. Die Teilnehmer des Kolloquiums waren sich darin einig, dass eine enge internationale wissenschaftliche Kooperation allein der Weg sei, auch die Erkenntnis zum Werk Schlüters weiter voranzubringen.

 

 

Die Veranstalter danken für die finanzielle Unterstützung dieser Tagung dem BKM – Staatsministerium für Kultur und Medien, der Kulturstiftung der Länder und dem Lions Club Berlin-Sanssouci.