Studienreise an Halle an der Saale

Ansicht der Domkirche in Halle aus der „Dreyhauptschen Chronik“ (1749/50)
Ansicht der Domkirche in Halle aus der „Dreyhauptschen Chronik“ (1749/50)

Studienreise an Halle an der Saale mit Hartmut Krohm

27. November 2015

10.00-12.00 Uhr: Besichtigung der Franckeschen Stiftungen, Führung durch Andreas Pečar

 

August Hermann Francke war Gemeindepfarrer in Glaucha, einer Stadt vor den Toren Halles, als er im Jahr 1694 damit begann, sein Waisenhaus anzulegen, das die Keimzelle werden sollte für eine eigene Stadt – heute bekannt unter dem Namen „Franckesche Stiftungen“. Nur zwanzig Jahre nach der Gründung lebten und arbeiteten in dem stetig wachsenden Gebäudekomplex bis zu 3000 Menschen – Lehrer und Schüler, Studenten, aber auch Handwerker, Buchdrucker, Apotheker.

 

Eine Besichtigung zentraler Räume der Franckeschen Stiftungen – der Kulissenbibliothek, der Kunst- und Naturalienkammer, des Freilinghausensaals sowie der Aussichtsplattform auf dem Dach des Waisenhauses – soll dazu beitragen, zu verstehen, welche Ziele mit der Gründung dieser „Glauchaschen Anstalten“ verfolgt werden sollten, welche architektonischen Mittel dafür gewählt wurden und welchem Weltbild die Anlage insgesamt verpflichtet war.

 

Prof. Dr. Andreas Pečar lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Forschungen widmen sich der politischen Kulturgeschichte, vor allem der Herrschaftsrepräsentation und Hofkultur sowie der Epoche der Aufklärung und ihren Akteuren. Bekannt sind unter anderem seine Publikationen über den Wiener Kaiserhof, über Favoriten (und Favoritinnen) an den europäischen Fürstenhöfen, die Bibel als politisches Argument und die Selbstinszenierung Friedrichs des Großen. Pečar gehört dabei zu den Historikern, die auch Architektur, Gartenkunst, historische Interieurs und Festkultur als aussagekräftige Quellen betrachten und zu deuten verstehen.

13.00-15.00 Uhr: Besichtigung der Ausstellung  „Moderne in der Werkstatt. 100 Jahre Kunsthochschule Burg Giebichenstein“ im Kunstmuseum Moritzburg, Führung durch die Kuratorin Cornelia Wieg

Gustav Weidanz, Lili Schultz u. a., Marionetten zu Shakespeares „Die Komödie der Irrungen“, 1926/27, Foto: Archiv Burg Giebichenstein
Gustav Weidanz, Lili Schultz u. a., Marionetten zu Shakespeares „Die Komödie der Irrungen“, 1926/27, Foto: Archiv Burg Giebichenstein

Die heutige Kunsthochschule Burg Giebichenstein hat sich über 100 Jahre hinweg in der Auseinandersetzung mit den Visionen der Moderne und aus der Erfahrung in ihren Werkstätten immer wieder selbst erfunden. Unter ihrem Gründungsdirektor, dem Architekten Paul Thiersch, suchte diese ab 1915, damals Handwerker- und Kunstgewerbeschule genannt, als erste unter den vergleichbaren Ausbildungsstätten, die Reformideen des 1907 gegründeten Werkbunds konsequent umzusetzen. 1920 bezog sie mit ihren Werkstätten unter dem aufragenden Turm die Unterburg Giebichenstein, von der sie den Namen erhielt und die ihr Signet inspirierte. Neben dem Bauhaus war die „Burg“ die modernste und erfolgreichste Werkkunstschule in Deutschland. Unter anderem wäre zu erwähnen, dass hier zum ersten Mal 1927 eine Fachklasse für Sachfotografie eingerichtet wurde, für die Hans Finsler verantwortlich war. Von größter Bedeutung war auch die 1929 eingeleitete Kooperation mit der Staatlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin, der KPM. Unter der Leitung der Keramikerin Marguerite Friedlaender entstand in Halle ein Versuchslabor, aus dem die Prototypen eines zeitgemäß schlichten, funktionsorientierten Gebrauchsgeschirrs in Porzellan hervorgingen. An die Traditionen vor 1933 knüpfte die Werkkunstschule, 1958 in Hochschule für industrielle Formgestaltung umbenannt, nach dem Krieg wieder an.

Johannes Niemeyer, Entwurf für eine Komposition in Holz und Messing, 1923, Bleistift auf Papier, Galerie Wannsee, Berlin
Johannes Niemeyer, Entwurf für eine Komposition in Holz und Messing, 1923, Bleistift auf Papier, Galerie Wannsee, Berlin

Wie ästhetisch und sozial avancierte Ideen der „Burg“ seit 1915 zwischen Experiment und Erneuerung von Tradition zu angemessener, dekorativer, sachlicher und dabei künstlerisch durchdrungener Form finden konnten, wie ihre Gestaltungen die Stadt Halle prägten, wie der Organismus „Burg“ sich aus der kreativen Individualität seiner Lehrer und Schüler speiste und mit seinen Produkten schon früh internationale Aufmerksamkeit erfuhr, wie ästhetische und soziale Verantwortung in serielle Gestaltung umgesetzt wurde – das wird in der Ausstellung anhand beispielhafter Gesamtprojekte und impulsgebender Entwicklungen sichtbar. Von den Puppenspielen (1918-1932), dem Pilotprojekt Flughafenrestaurant Halle-Leipzig (1930/31) bis hin zur epochemachenden Modularisierung im Rahmen des Möbelprogramms Deutsche Werkstätten (1965-1990), der komplexen Arbeitsumweltgestaltung für das Mifa-Fahrradwerk in Sangerhausen (1977/79) oder der Zusammenarbeit mit dem BMW-Werk Leipzig (2012)  entfaltet sich in räumlichen Inszenierungen die manchmal stürmische Geschichte der bis heute international geschätzten Kunstschule.

Hans Finsler, Fotografie des Obergeschosses des Flughafenrestaurants Halle-Leipzig, 1931, Kunstmuseum Moritzburg Halle
Hans Finsler, Fotografie des Obergeschosses des Flughafenrestaurants Halle-Leipzig, 1931, Kunstmuseum Moritzburg Halle

Die Kuratorin der Ausstellung, Cornelia Wieg, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstmuseum Moritzburg in Halle, sie betreut dort das Sammlungsgebiet Plastik.

15.30-16.30 Uhr: Besichtigung des Doms in Halle, Führung durch Hartmut Krohm

Halle, Dom, Pfeilerfiguren der Apostel Andreas, Johannes und Paulus, Fotos: Datenbank zur Plastik in Mitteldeutschland
Halle, Dom, Pfeilerfiguren der Apostel Andreas, Johannes und Paulus, Fotos: Datenbank zur Plastik in Mitteldeutschland

Die Moritzburg in Halle entstand ab 1484 als eines der bedeutendsten Residenzschlösser nördlich der Alpen, erbaut durch die Magdeburger Erzbischöfe Ernst von Wettin (amtierte 1476-1513) und Albrecht von Brandenburg (amtierte 1513-1545). In diesen Komplex wurde der Dom als Neue Stiftskirche mit einbezogen. Das Gotteshaus selbst war in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Dominikanerkirche St. Paul zum heiligen Kreuz errichtet worden und zählt zu den Hauptzeugnissen gotischer Hallenarchitektur, die in dieser Zeit ihren ersten Höhepunkt erlebte. Unter Albrecht von Brandenburg erfuhr vor allem das Äußere des Doms, bereichert durch einen Giebelkranz in Renaissanceformen, eine Umgestaltung. Die Residenz und der Dom waren damals ein zentraler Ort dürerzeitlicher Kunst. Neben Altarwerken Lucas Cranachs des Älteren befand sich im Dom die Erasmus-Mauritius-Tafel des übrigens 1528 in Halle verstorbenen Matthias Grünewald (das Gemälde heute in der Alten Pinakothek in München). Der Dom war auch der Aufbewahrungsort eines der größten Reliquienschätze, die jemals zusammengetragen worden waren, des „Halleschen Heiltums“, begründet durch Ernst von Wettin und opulent erweitert durch Albrecht von Brandenburg. Albrecht, gleichzeitig Erzbischof und Kurfürst von Mainz, überführte diesen schließlich unter dem Druck der Ereignisse im Kerngebiet der Reformation in seine mainzische Residenz Aschaffenburg, wo er die kunstvollen Reliquiare, von denen sich kaum noch etwas überliefert hat, in Zeichnungen festhalten ließ.