Vortrag von Dieter Köcher
23. März 2017, 18:00 Uhr
Gobelin-Saal des Bode-Museums
Nach langwierigen Verhandlungen erwarben die Königlichen Museen zu Berlin im Jahr 1913 ein Kruzifix und eine trauernde Maria aus einer ehemaligen Triumphkreuzgruppe. Die um 1225 entstandenen Skulpturen wurden 1899 auf dem Dachboden der Naumburger Moritzkirche aufgefunden. Die Objekt- und Restaurierungsgeschichte gibt einen interessanten Einblick in das wechselvolle Schicksal der Bildwerke. Nach dem Zweiten Weltkrieg getrennt, blieb der Christus in Ostberlin, während die Maria ab 1956 in Westberlin ausgestellt wurde. Unabhängig voneinander legten die Restauratoren in Ost und West Ende der fünfziger beziehungsweise Anfang der sechziger Jahre die originale Polychromie frei. Damit folgten sie der für die damalige Zeit allgemeinen Konvention einer weitgehenden Wiederherstellung des vermeintlich mittelalterlichen Aussehens.
Die an den Kunstwerken zu beobachtenden bildhauerischen Charakteristika eröffnen einen außergewöhnlichen Einblick in die Arbeitsweise des mittelalterlichen Bildschnitzers. Wie an kaum einem anderen Objekt lassen sich an den beiden Skulpturen die unterschiedlichen Phasen des Herstellungsprozesses nachverfolgen. Die Gewinnung der Werkblöcke aus den Eichenstämmen demonstriert eine sehr effiziente Nutzung des zur Verfügung stehenden Materials. Vielfältige Bearbeitungs- und Werkzeugspuren belegen eine äußerst eigenwillige Handschrift des Bildhauers und die Verwendung einer beachtlichen Anzahl unterschiedlicher Werkzeuge.
Wie die Holzbearbeitung zeigt die Fassung der Naumburger Skulpturen überaus individuelle Eigenheiten, die sich teilweise nur schwer erklären lassen. Sowohl die Grundierung als auch die sehr dünnen Malschichten sind vorwiegend mit Öl ausgeführt. Dabei kommt es selbst in gleichfarbigen Bereichen zu Differenzen in Anzahl und Abfolge der Schichten. Zugleich dokumentieren einige Spezifika der Fassung ein Vorgehen, das keinen strengen handwerklichen Regeln folgt. Zwar könnten die Divergenzen im Aufbau der Grundierung Anlass geben, eine Überarbeitung zu vermuten, doch offenbaren die stilistischen Merkmale der Fassung und speziell das Auftreten „alogischer“ Motive unmissverständlich ihren spätromanischen Charakter. Schon wenige Jahre später sind solche Phänomene nicht mehr anzutreffen.
Die technologischen Befunde der Holzbearbeitung und der Polychromie beweisen die von der kunsthistorischen Forschung bisweilen in Frage gestellte Zusammengehörigkeit beider Bildwerke und ihre gleichzeitige Entstehung. Damit belegen sie einmal mehr die Relevanz solcher Analysen auch für die Klärung kunsthistorischer Fragestellungen, bei denen stilistische Kriterien an ihre Grenzen stoßen.
Dr. Dieter Köcher studierte von 1980-1986 Restaurierung an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Seit Abschluss des Studiums arbeitet er als Restaurator an der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag in der Untersuchung historischer Herstellungsverfahren für Krappfarbmittel. Zu diesem Thema wurde er 2006 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden promoviert. Gegenwärtige Tätigkeitsschwerpunkte sind kunsttechnologische Untersuchungen für den zweiten Band des Gesamtkatalogs mittelalterlicher Bildwerke der Skulpturensammlung und Untersuchungen zur Kunsttechnologie, Konstruktion und Funktion des älteren Hochaltarretabels des Mindener Doms.